Samstag, 7. September 2024

Südwärts

"Winter" ist nicht mehr - "im Süden" schon. Die Nacht war mild, aber die Feuchtigkeit vom Fluss schlägt sich natürlich überall nieder. Dennoch hatte ich das Überzelt nicht benutzt. Bis die Räder rollen wird es anscheinend immer 10 Uhr - 2 Stunden benötigen Morgentoilette, Tee kochen / Frühstück und Einpacken. Der Boden unter der Lisl ist trocken und sauber - sie verliert wirklich kein Öl mehr! Wenn sie jedoch weder zu irgendwelchen Dichtungen noch an Schrauben trielen kann, dann möchte sie wohl ihr Öl anders loswerden? Zum Start qualmt sie 2 oder 3 dicke Ölwolken in die Landschaft - na ja, das kommt vom Schrägstand auf dem Seitenständer. Da läuft etwas Öl in den Zylinder.

"Biltema" - mein erstes Ziel liegt im Industrie- und Handelsgebiet in meiner Richtung, d.h. wir müssen nicht in die Stadt hinein fahren. Allerdings kommen wir nicht umhin, ein Stück Autobahn zu fahren. Es ist ein riesiger Laden und ich bekomme zumindest das Wichtigste. Ein paar hundert Meter weite lockt der Coop. An der Bäckerei-Eckekomme ich nie vorbei, egal ob hungrig oder nicht. Ein paar Semmeln und Süßzeug wandern in den Einkaufskorb - schließlich habe ich ja noch Wurst dabei, die bald weg muss.
Verschwitzt wie ich bin, stecke ich den Pullover in den Tankrucksack und fröstle dafür im Fahrtwind. Sobald ich jedoch getrocknet bin, sind 25 Grad eine angenehme Reisetemperatur. Noch ein kleines Stück Autobahn muss die Lisl unter die Räder nehmen, dann rollen wir bei mäßigem Verkehr auf einer breiten Asphaltstraße wieder ins Landesinnere. Wenn wir gelegentlich überholen müssen, zeigt die Lisl fröhlich, welchen Dampf sie noch bereit hält.


Bis auf etwa 400 m steigt die Straße Richtung Arvidsjaur durch lichte Wälder mit sandigen Böden und verstreuten Felsblöcken. Abgesehen von den breiten Flüssen und ausgedehnten Seen, tauchen jetzt auch immer wieder saftige Wiesen auf. Manchmal lugt auch ein Gehöft oder eine kleine Ansiedlung mit den üblich rot-weißen Häusern und einem perfekt gepflegten giftgrünen Rasen zwischen den Bäumen durch. kleine Rentiergrüppchen verziehen sich in den Wald, sobald wir uns nähern. Die haben hier ein dunkelbraunes Fell - ich habe bisher nur graue Rentiere gesehen.

Die Halterung für meine Lenkerflasche sitzt nicht mehr fest, darum muss ich einen neuen Platz für die Flasche finden. Nach dreimaligem Lisl-umrunden wird sie auf dem Werkzeugkoffer festgeschnallt, wo sie leider ohne abzusteigen nicht erreichbar ist. Ein Hiinweis auf das Naturreservat Gallejaur lockt uns, trotz kleinem Umweg, auf (natürlich) eine Schotterpiste. Schon sehr bald werden wir mit einem herrlichen Platz am See, mit Sitzgarnitur und Feuerstelle belohnt. Es ist zwar noch sehr früh, aber die Mindest-Tages-Etappe von 200 km haben wir schon erfüllt.

Um 16 Uhr ist das Bett bereits gemacht. Die Bäume stehen in passendem Abstand direkt am Ufer und ein bisschen abseits - falls noch mehr Camper kommen. Ich muss auch heute diverse Befestigungsarten ausprobieren, bis ich einigermaßen zufrieden bin. Ich lerne noch.

Nun kann ich mich an's Laptop setzen, Blog schreiben und ein bisschen lernen. Mitten auf dem See schreit herzerweichend eine einsame Gans.




Freitag, 6. September 2024

Meditativ

Die Nacht war kalt - 5 Grad, sagt die Lisl. Kein Wunder, ich habe nicht so gut geschlafen. Oder ist vielleicht die Schlafart daran schuld? Ich habe gelernt, auf 40 oder 50 cm schmalen Isomatten zu schlafen, aber wenn man da runterfällt wird's halt nur kalt. Hier muß ich meinen Schwerpunkt schön in der Mitte halten, sonst kippt die ganze Schose. Rausfallen kann ich zwar nicht solange das Moskitonetz geschlossen ist, aber ich rutsche halt. Ist wohl auch ein Lernprozess.
Kurz nach 8 Uhr wache ich auf, von den Zeltwänden trieft das Kondenswasser, über'm See liegt dichter Nebel. Eine Stunde später verzieht er sich langsam und läßt die kräftig wärmende Sonne durch. Dennoch ist die Luft weiterhin kalt.


Tiefenentspannt rollen wir mit ca. 90 km/h auf der guten Asphaltsraße bei fast keinem Verkehr bis Galliväre. Es ist eine fast meditative Reise durch Fichten- und Birkenwälder, Flüsse, Seen, Moore und Pfützen. Auf dem nächsten Abschnitt gibt es ein bisschen mehr Verkehr und wir hängen hinter einem LKW fest. Die langezogenen Kurven sind eigentlich gar keine Kurven sondern nur kleine Richtungsänderungen der Straße, aber sie verseperren den Blick auf lange Strecke. Der LKW fährt zwar etwa mein Tempo, aber er versperrt die freie Sicht und wirbelt uns Staub und Steichen um die Ohren. Zum Glück zweigt meine Route schon bald ab. Meine Navigations-App "Kurviger" gibt sich große  Mühe und findet auf der schmalen Asphaltstraße tatsächlich ein paar Kurven. Kiefernduft!

Nächste Abzweigung - oh, eine Erd- bzw. Schotterstraße? Das war zwar nicht geplant, aber solange sie nicht zu wild wird, nehmen wir sie gern in Kauf. Allerdings lassen wir schnell noch den LKW durch, der uns ganz schön scheucht. Wir warten einige Minuten, bis sich die Staubsolke verzogen hat, dann haben wir unsere Ruhe. Festgefahrene Erde, ab und zu Kies oder Sand und auf jeden Fall Schlaglöcher! Aus ist's mit meditieren, hier müssen wir gut aufpassen, Fahrbahn lesen. Unendliche Zebrastreifen bilden die Schatten des lichten Waldes auf der Fahrbahn. Das macht es unmöglich, die Schlaglöcher zu erkennen - ausbaden darf das jetzt die Lisl. Sie macht das gut. Der Boden ist hier fest bis sandig, Felsblöcke liegen verstreut in der Landschaft. An einer Abzeigung ist mein Navi überfordert - eine der Straßen kennt es gar nicht. Also fragen wir mal Tante Google - aber die ist dumm ohne das Universum. Und das sendet hier leider nicht. Tja, dann eben raten - passt. 

Nach ca. 60 km haben wir wieder Asphalt unter den Rädern. Auf den letztn Kilometern hat frischer Schotter das Fahren ziemlich anstrengend gemacht. In einem kleinen Ort ist ein Parkplatz für einen Naturpark ausgeschildert. Hier gibt's auch ein Cafe und Sitzgarnituren auf dem Rasen. Das Cafe scheint jedoch geschlossen zu sein - ist nicht schlimm, denn auf diese Weise kann ich einen Teil meines restlichen Kühlschrankinhalts reduzieren. 8(!) hartgekochte Eier musste ich z.B. mitnehmen. Die Mittagspause wird ziemlich lang, ich lerne noch ein bisschen und genieße die 24 Grad Wärme. Aber dann werde ich schlagartig müde - man wird halt alt. Bis Luleå werden wir heute nicht mehr fahren beschließe ich. Lieber morgen in aller Frische. Ich brauche noch ein paar Kleinigkeiten in meinen Reparaturkoffer.

Im nächsten Ort gibt es eine Tankstelle - die Lisl bekommt frischen Sprit und ich eine Cola und ein Softeis. Eigentlich möchte ich die Route auf der anderen Seite des Flusses nehmen, aber die freundliche Dame an der Kasse rät mir heftig davon ab - die Straße ist in miserablem Zustand und geschottert. "Miserabel" liegt ja im Auge des Betrachters, aber für heute hatten wir genug Schotter. Kraft und Konzentration lassen zu wünschen übrig und man muss sein Glück ja nicht herausfordern. Leider entwickelt sich das gemütliche Sträßchen ab der nächsten Ortschaft zur Autobahn, da wird es besonders schwer, einen Nachtplatz zu finden. Eine Chance gibt es noch ca. 20 km vor Luleå: es sieht so aus, als ob eine Nebenstraße über den Fluss führt und oft kann man bei den Brücken ein geeignetes Plätzchen finden. Es gibt allerdings keine Brücke sondern eine Fähre, aber die Strategie war trotzdem gut. In der Nähe gibt es einen geschotterten Platz zum Einsetzen von Booten und direkt dabei einen lichten Wald. Leider für die Hängematte ungeeignet, da zum einen die Bäume zu weit auseinander stehen und zum anderen der Untergrund so tückisch ist, dass man gar nicht bis zu den Bäumen hingelangt. Also gibt es heute die "Zelt"-Premiere.

Gegen 20 Uhr sitze ich schließlich im Zelt-Büro und schreiben den Blog. "No risk no fun" war mein Slogan, als ich entschied, nur das Hängemattenzelt mitzunehmen. Die Nutzung als Hängematte hatte ich zu Hause ausprobiert, aber von der Zeltfunktion lasse ich mich heute überraschen. Na ja, bissle "fun" ist es schon - so ganz ausgreift ist die Zeltfunktion nicht. Der Firstgurt hängt stark durch und die Gesamthöhe läßt sehr zu wünschen übrig. Drin sitzen kann man nicht wirklich - da wird das Schreiben am Laptop zur Tortur. Aber muß ja...
















Donnerstag, 5. September 2024

3-2-1 los geht's!

In den letzten Tagen hab ich dann doch Stück für Stück die Lisl beladen. Eine lange Liste, was ich mitnehmen will, was nicht und was ich noch alles tun muss, um meinen Wohnort "einzuwintern" wird abgearbeitet. Der Erdhügel, den ich seit Jahren in der Einfahrt liegen habe, ist nun endlich gesiebt, in den Unebenheiten auf dem Grundstück verteilt und mit Gras angesät. Wachse gut!
Vor allem der Kühlschrank ist einfach noch viel zu voll. Es gibt noch ein paar opulente Abschiedsmahlzeiten, aber alles werde ich nicht los. Also suche ich nach Abnehmern. Meine deutschen Freunde aus Tårstad fahren brechen am Samstag auf und haben das gleiche Problem. Also finde ich in Greta und Calvin Abnehmer. Sie kommen am Abend sogar selbst vorbei - sie wollten sich sowieso noch gerne von mir verabschieden. Ein netter Abend!

Der abendliche Regen hat bis zum Morgen aufgehört - nun muss ich noch die Toilette leeren, Wasser und Strom abstellen und alles abschließen. Kiruna ist etwa mein Tagesziel. Kurz dahinter soll es einen schönen kleinen Ort etwas abseits der Straße geben  - Tip von Greta.
Es bläst ein unerwartet kalter Wind, da muss ich meine Klamotten wohl etwas umbauen. Die Temperatur schwankt um die 15 Grad aber Lisls Griffheizung tut gute Dienste. Diesmal habe ich keinen warmen Fleece-Pullover dabei (nur einen dünnen), denn ich setze auf eine Daunenjacke. Die kann man sehr klein packen, beim Nicht-Motorradfahren gut nutzen und auch unter der Motorradjacke hält sie mehr Wind ab als ein Pullover. Neue Taktik.

Bis die letzten Einwinterungsarbeiten erledigt sind und wir "on the road" sind, wird es 10:30. Die frische Brise stärkt uns den Rücken und treibt graue Wolken vor sich her, die an den hohen Bergen hängen bleiben. Sind das ein paar Regentröpfchen in Bogen, der nassen Ecke? Ach ne, das ist nur hohe Luftfeuchtigkeit. Kein Grund, auf Regen umzusatteln. Ein Motorradfahrergruß gilt Nils, meinem Busfahrer, der mit Rasenmähen beschäftigt ist. Wir sehen uns nächstes Jahr wieder!
Meine Augen tränen und müssen sich erst wieder an den Fahrtwind gewöhnen, da ich ohne Visier und Motorradbrille fahre. In den Ohren knattert der Wind - morgen werde ich vielleicht wieder Ohrenstöpsel benutzen.
Meine Gedanken hängen noch zurück und grübeln darüber nach, was ich wohl alles vergessen habe zu erledigen oder mitzunehmen. Sicher hab ich irgendwas vergessen! Nach dem Auftanken führt uns die König-Olav-Straße hinauf aufs Björnfjell zur Reichsgrenze. Die Gedanken sind jetzt bei mir und der Lisl angekommen - spürt mein Sitzfleisch da nicht ein leichtes Pendeln der Lisl? Ist sie zu schwer beladen? Altersschwach? Oder fehlt ihr sonst was? Aber nein - alles gut. Sie freut sich auf die Kurven entlang des Fjords und bergauf. Gestern hat mich Calvin gefragt, ob ich in den Kurven lenken müßte - hm. Das macht die Lisl tatsächlich von ganz alleine! Sie neigt sich fröhlich mal nach rechts, mal nach links, ganz nach Bedarf. Das nenn ich "autonomes Fahren"! Der Ausblick ins Tal ist wunderschön. Ich würde gerne noch ein Foto vom Ende des Ofotfjordes machen aber genau dort, wo man anhalten kann, versperren hohe Bäume die direkte Sicht. Oh - da ist ein großer Parkplatz mit einer Schneise im Wald...aber genau dorthin haben dumme Menschen eine riesige Werbetafel gestellt, die die beste Aussicht versperrt.

In Schweden ist der Herbst schon eingekehrt. Licht und Schatten zaubern herrliche Farbspiele von dunkel- und hellgrün über gelb und orange bis hin zu feuerrot in die Landschaft. Ich erwische eine Nase voll Kiefernduft! Dieses herrliche Gefühl erinnert mich an meine allererste Norwegenreise (1986?). Damals war ich mit einer Yamaha XV 750, einem Softchopper unterwegs. Die Farbenpracht des Indian summer in Lappland hat mich damals schon tief beeindruckt. Meine Mutter hat immer von einer Reise hierher geträumt - leider war ihr es nicht vergönnt.
Die Natur holt sich sehr schnell zurück, was ihr vor 2 oder 3 Jahren durch einen großflächigen Waldbrand genommen wurde - die Nachwuchsbirken sind schon wieder gut 1 m hoch. Sie verdecken die Brandnarben, aber die kahlen Stämme der verbrannte Bäume ragen immer noch daürber hinweg. Ich bin wieder auf Reisen, ganz dabei mit allen Sinnen und ein Lächeln zaubert sich auf mein Gesicht.

#

Die Straße nach Kiruna ist wenig befahren. Meist unsichtbar begleitet uns die Eisenbahnlinie, die seit etwa 100 Jahren Erz von Kiruna nach Narvik, dem einzigen eisfreien Hafen in Nordnorwegen, befördert. Genau darum war Narvik im 2.Weltkrieg auch so hart umkämpft. Ich habe mir vorgenommen, Kiruna näher zu bsichtigen, aber da gibt's nix zu sehen. Wohnsiedlungen verschiedenen Alters, kein Stadtkern. Das Highlight der Sadt - eine Kirche - ist von einem Bauzaun umgeben und wird wohl gerade abgebaggerst. Immerhin gibt's jede Menge große Straßen, Kreisel und Umgehungssraßen. Um ehrlich zu sein - hhier wollte ich nicht wohnen. Allerdings ist man schnell wieder an der "Stadt"grenze und mitten in der Natur. An einer Tankstelle lädt eine Sitzgarnitur zur Mittagspause ein. Erst beim Absteigen merke ich, wie steif die Gelenke geworden sind.... In einer Apotheke bekomme ich was ich suche - sogar ein Drittel billiger als in Norwegen. Auch das Benzin ist ca. 30 Cent billiger.

Nun sitze ich in meinem neuen Hängemattenzelt, habe die Mücken ausgesperrt und lasse mich von späten, tiefen Sonnenstrahlen noch ein wenig blenden. Ein sehr schönes Abendlicht. Es hat doch ziemlich viel Zeit in Anspruch genommen, ein passendes Plätzchen zu finden, die einzelnen Ausrüstungsteile zusammenzusuchen, die Hängematte aufzuhängen und den Rest des Equipments regensicher zu verstauen. Die Staumöglichkeiten für das Tarp, also das Überzelt erscheinen mir auch noch nicht optimal. Die neue Art des Campings ist halt schon ganz anders, es gibt sicher noch einiges zu entwickeln  und ich habe lange nicht so viel Platz "drinnen" wie in meinem bewährten Zelt. 

Ich habe das Gefühl, im neuen Lebensabschnitt "Rentner" ändert sich mehr als nur Alltag und Einkommen....