Eigentlich habe ich ganz gut geschlafen. Ein Biwaksack hat den Schlafsack vor weiterem Regenwasser geschützt, allerdings auch das Kondenswasser gesammelt und den Schlafsack trotzdem etwas nass werden lassen. In der Nacht habe ich mir noch eine Decke in den Schlafsack gezogen, dann konnte ich bis morgens gemütlich warm kuscheln. Die Sitzgarnitur, unter der ich mich verkrochen habe, ist so naß, glitschig und vermoost, daß man sie nicht anfassen kann, ohne abzurutschen. Sie verteilt eklige grüne Flecken an alles, was sie berührt (sehe ich im Lauf des Tages). Lisls Thermometer zeigt 4 Gradan, ein heftiger Wind erschwert den Lagerabbau immens. Ungewaschen, total verdreckt und versifft, so mag mich bestimmt niemand! Als ich fast fertig gepackt habe, spaziert ein Mann in den Vierzigern mit seinem Hundchen vorbei, stellt sich vor und fängt ein Gespräch mit mir an. Letztendlich lädt er mich zu sich nach Hause ein, dort gäbe es ein Bett. Daß man diese Informationen aber auch immer zu spät bekommt...!
Bei kräftigem Wind machen wir uns auf an die Küste. Vom Berg aus habe ich einen großen Platz gesehen, der aussah wie ein vollgestellter Campingplatz. Auf der Karte ist das ganze Gebiet rot schraffiert. Es stellt sich heraus, daß der "Campingplatz" ein Gefängnis mit hohen Betonmauern und viel Elektrozaun ist und das schraffierte Gebiet ein daran anschließender Truppenübungsplatz. Darauf dürfen sich gerade ein paar Jungs in voller Montur warmlaufen.
Die Fähre von Magilligan nach Greencastle soll mich auf die andere Seite der Bucht bringen. Niemand wartet da, na ja, vielleicht ist es noch zu früh oder ich muss einfach ein wenig warten? Die blaue Infobox am Anleger ist leer. Nach ca. 10 min schaue ich mal ins Internet, vielleicht gibt's da einen Fahrplan? Tripadvisor antwortet mit "Die Fähre ist bis auf Weiteres eingestellt. Neue Informationen folgen". Tja, da können wir lange warten! Nicht schlimm, dann fahren wir halt auf dieser Seite nach Londonderry. Ich hoffe sehr, dort ein Café zu finden, um etwas Warmes und etwas gegen den Hunger zu bekommen. Ausnahmsweise stürzen wir uns mitten in die Stadt, aber da sind die Bürgersteige hochgeklappt, alle Geschäfte geschlossen und keine Bar oder Café zu finden. Dann muss es halt ohne Frühstück gehen, so schnell verhungert man nicht. Eine große Leuchttafel weist auf Verkehrsbehinderungen zwischen 28. und 31. Oktober hin, wegen Halloween. Was für ein Aufriß!
Nach gut 2 Fahrstunden ist der Hunger groß, da taucht endlich ein Restaurant am Wegesrand auf. Meins! Heißer Kakao, ein englisches Frühstück und dann noch ein Pott heißer Tee tun gut, können aber die Kälte in den Knochen leider nicht vertreiben. Irgendwie ist es in dem Restaurant ziemlich kalt. Hier wird nur Bargeld akzeptiert - blöd, weil ich wegen der kurzen Zeit keine Pfund eingetauscht habe. Immerhin nehmen sie auch Euro als cash - die Grenze ist ja nicht weit. Als wir aufbrechen, beginnt es zu nieseln. Allmählich wird es nässer und nässer, es regnet sich ein und steigert sich bis zum Starkregen. Pausen gibt es nicht. Die Landschaft versteckt sich hinter einem Regenvorhang und berührt mich heute nicht. Ich bin in mich gekehrt und lasse mich vertrauensvoll von der Lisl tragen. Überraschen bemerken wir, daß die Geschwindigkeitsbegrenzungen deutlich höher sind - ergänzt von dem kleingeschriebenen Text "km/h". Wir müssen also jetzt in Irland gelandet sein? Nichts war zu sehen an Grenze oder Hinweisen. Interessant! Es geschieht im weiteren Tourverlauf übrigens noch einige Male, dass wir die Grenze unbemerkt übertreten.

Die "Wild Atlantic coast road" wurde mir mehrfach empfohlen und von Billy habe ich noch ein paar besondere Hinweise bekommen. Zum Beispiel, wo man unbedingt zu einem Aussichtspunkt fahren solle. Mit etwas Betteln könnte das für Motorradfahrer sogar klappen, ansonsten ist das Sträßchen gesperrt. Also die "road" ist in Ordnung, von der "Atlantic coast" ist nichts zu sehen, aber das Wetter, das ist "wild"! Eine Schleife hinaus zu diesem Aussichtspunkt spare ich mir dann jedoch, man kann ja eh nichts sehen! Wir sind irgendwo im Nirgendwo, Sturzbäche kommen uns entgegen, als die Dämmerung eintritt. Ein Glück, daß wir ein wenig abgekürzt haben. Wir sind wieder auf Ministräßchen unterwegs, im Wald ist es schon richtig finster! Ein Auto schleicht vor uns her und ich sehe nur zwei rote Sterne statt seiner Rücklichter. Gut oder schlecht? Was die Sicht angeht schlecht, aber gut wenn wir uns einfach blindlings dahinter klemmen (erinnert mich an ein Abenteuer in der kanadischen Wildnis) und die Überflutungen durchfahren können.
Ryan ist mein heutiger Host. Seine Ortsbeschreibung ist gut, wir finden ihn leicht im letzen Abendlicht. Eine kurze aber sehr steile Auffahrt sollen wir hochfahen - ohne Bremse, nur mit eingelegtem Gang wird die Lisl dort vermutlich nicht stehen bleiben? Zum Abladen des Gepäcks allerdings schon, dann darf oder soll sie in die Garage hinter dem Haus. Es gibt ein paar Treppenstufen und einen sehr engen Durchgang zwischen Haus und Zaun, aber irgendwie scheint es zu gelingen - bin gespannt, ob wir da morgen wieder herauskommen? Ryan bringt mein Gepäck hinein, zeigt mir mein Zimmer inklusive eigenem Badezimmer für eine heiße Dusche. Dusche? Hatte ich heute genug! Aber vielleicht macht ja eine HEISSE Dusche einen Unterschied? Auf jeden Fall!
Aufgewärmt und gut gefüttert sitzen wir abends vor dem Kamin und quatschen Benzin, Reisen und Wetter. Ja, Regen gibt es viel in Irland, auch tageweise heftig. Aber so viele starke Regentage wie dieses Jahr gibt es sonst wirklich nicht - ist mein Verdacht doch richtig, dass diesen Herbst ungewöhnlich viel Wasser unterwegs ist!
Ich dachte, meine Sachen wären alle gut wasserdicht verpackt. Auch der Tankrucksack hat ja noch eine separate Regenhülle! Aber genau dortdrin ist alles feucht: lederne Handschuhe und Geldbeutel - die trocknen nicht so schnell. In der Regenjacke bewahre ich tagsüber meine Kamera auf; sie hat regendichte Taschen mit doppeltem Verschluss - das Wasser steht innen in der Tasche und darin schwimmt das Handy (zum Glück nochmal wasserdicht verpackt). Nun hängen Anzüge und Handschuhe vor dem Kamin, Schlafsack, Tankrucksack und weitere Utensilien trocknen (hoffentlich) in meinem Zimmer.
Erst jetzt beim Zusammenstellen des Blogs stelle ich fest, dass ich den "besten Teil" der Route komplett abgeschnitten habe, die Slieve Cliffs. Wie konnte das passieren? Habe ich beim navigieren geschlafen, hat das Navisystem Mist gebaut oder habe ich bei diesem Mistwetter einfach den Überblick verloren? Egal, es ist zu spät, diesem Highlight nachzutrauern. Vermutlich hätte ich bei dem Wetter ohnehin nichts gesehen oder zumindest hätte ich nichts genießen können. Bleibt Etwas für's nächste Mal.