Samstag, 5. Oktober 2024

Cherbourg

Ich schlafe 12 Stunden durch bis 9 Uhr morgens! Es hat 1 Grad und selbst meinem Kocher ist das zu kalt zum starten. Die Frühstücks-Orange wärme ich im Teewasser vor. 
Da bei dieser Kälte alles langsamer geht, sind wir erst kurz vor 11 Uhr on the road. Ich stelle das Navi heute mal auf "schnell und kurvig", da ich bis zum Abend in Cherbourg sein will. Ich werde ernst genommen und uns wird eine gute Mischung aus hübschen kleinen Wegen und mittelgroßen, gut fahrbaren Straßen angeboten. 
Um die Mittagszeit bin ich sehr müde. Da sich kein hübsches Plätzchen  findet, pausieren wir auf einem Parkplatz vor dem Schwimmbad an einer grünen Böschung. Ein Powernap in der warmen Sonne? Ich kann mich nur schwer wieder aufraffen. In meinem Körper geht irgendetwas Ungutes vor sich, Verdauung kränkelt, Bauchschmerzen und dauermüde. Ich hoffe, das gibt sich bald wieder.

Schwups - sind wir auf einer 4-spurigen Schnellstraße! Wie konnte das passieren? Na ja, wir nehmen es wie es ist und holen auf den nächsten über 20 km meine Bummelei wieder herein. Dann, schlagartig, ohne Ausfahrt, sollen wir rechts abbiegen auf einen engen kurvenreichen Feldweg - das ist Kontrastprogramm! Zuverlässig leitet uns das Navi durch die Stadt bis zum Campingplatz, der lediglich auf den letzten 100 m ausgeschildert ist.

Also, wenn ich wählen könnte, hätte ich mir diesen Campingplatz sicher nicht ausgesucht - meine "wilden" Plätze sind stets viel besser. Alle anderen Campingplätze haben Winterpause. Die Rezeption sieht geschlossen aus und wird es wohl das ganze Wochenende bleiben. Die Schranke am Einlass war aber anscheinend offen, denn wir sind auf jeden Fall drin. Die paar Bäume sind leider nicht hängemattengeeignet, also muss wieder das Tarp herhalten. Ich suche mir einfach eine Parzelle aus, wobei die alle nicht schön sind. Eigentlich scheint das hier ein Stellplatz für Dauercamper zu sein. Am Eck der Parzelle steht, daß Zelte hier nicht erlaubt sind, aber ich kann ja kein Französisch und es ist niemand da, um mich einzuweisen. Die Duschen sind nur mit Code zugänglich, aber die Toiletten stehen immerhin offen. Einen Aufenthaltsraum gibt es leider nicht und das angepriesene Wifi ist ohne Internetverbindung. Wir werden es überleben. Der leichte Wind bläst natürlich auch durch das zweiseitig offene Tarp, aber die Temperaturen liegen dafür über 10 Grad.


Meine Fähre geht erst am Montag abend und braucht dann 20 Stunden. Bis dahin werde ich vermutlich Blogpause machen.


Freitag, 4. Oktober 2024

Wo lagern?

Nach Sonnenuntergang wurde es gestern bald windstill und die Sterne kamen zum Vorschein. Bedeutete eine kalte Nacht, aber vielleicht Sonne heute. Tief im Schlafsack vergraben ließ es sich ganz ordentlich schlafen. Beim morgendlichen Räumen kommt ein Bauer vorbei und steigt von seinem hohen Traktor herab. Er erkundigt sich, ob ich hier geschlafen habe? 6 Grad kalt! Aber alles gut! Mein Zelt stand unterm Hickory-Baum, der nachts einige Früchte verloren hat. Diese sind Walnüssen mit grüner Schale ähnlich und poltern ganz ordentlich auf der Zeltplane.

Die Straßenführung hier im Abseits ist nicht ganz einifach. In den Ortschaften ist oft nicht erkennbar, ob eine Abzweigung nur eine Einfahrt oder eine weiterführende Straße ist. In der Ortsmitte kommen ganz viele Straßen zusammen und die Hinweisschilder zeigen nur grob in die bekannte Richtung. Aber abbiegen kann man z.B. scharf links, stark links, links, halblinks, ein bisschen links oder fast gradeaus. Des Öfteren müssen wir wenden oder um einen Häuserblock herumfahren.

Am Vormittag ist es landschaftlich sehr langweilig, ein Windpark reiht sich an den anderen und die einzige Abwechslung besteht darin, die nächste Abzweigung nicht zu verpassen. In wechselnden Abständen von 50 m bis 5 km biegen wir mal rechts, mal links ab. Große Bewässerungsanlagen stehen derzeit ungebraucht zwischen den Windrädern auf den Feldern. Dann gibt's wieder mal eine Straßensperre und in der Umleitung wieder eine Sperre - hm.

An einem großen Supermakrt machen wir Mittagspause. Die Lisl bekommt frische Luft. Sie ölt jetzt wentlang des Kardantunnels - sollte ich beobachten. Ich speise auf einem Poller vor dem Markt in der heißen Sonne sitzend. Gut aufgewärmt geht's dann weiter, aber die Luft ist wieder ziemlich kalt. Langsam ändert sich das Landschaftsbild, leichte Hügel tauchen auf, wir tauchen ein in dichte schwarze Wälder. Die Häuser sind nicht mehr so verfallen und die Gärten sind gepflegt. Gut versteckt gibt es vermutlich große Gutshöfe mit Pferde- und Rinderzucht.

Wenn man morgens spät in die Strümpfe kommt und lange Mittagspause macht, dann wird es abends eben spät. Vor allem, wenn die Lagerplatzsuche nicht einfach verläuft. So schön die Landschaft mit den einzelnen Anwesen ist, so unmöglich findet sich ein Schlafplatz: alle Weiden sind besetzt, alles ist abgesperrt, verschlossen, eingezäunt, eingemauert, von dichten Hecken umgeben oder abgrundtief matschig. Sieht fast schon ein wenig wie England aus hier. Ganz verzweifelt fahren wir nun in die dritte Sackgasse hinein - sie endet an einem kleinen Haus und einer Garage. Das Haus sieht unbewohnt aus, hoffentlich bleibt das so heute Nacht. In der Einfahrt finden sich ein paar Bäume für meine Koje, aber einige hundert Meter unter uns im Tal wirtschaftet ein Landwirt, der sich hoffentlich nicht um uns kümmert. Schnell geht die Sonne unter und es wird wieder kalt. Ich bin müde...


Donnerstag, 3. Oktober 2024

Könige der Feld-, Wald-, Wiesenwege!

Kurz nach sechs erwacht das Hotel. Hinter mir quietscht die Zimmertür, vor mir hustet sich eine Raucherin wach. Der "ocean-fresh"-Duft ist immer noch nicht verflogen.
Noch ein paar Worte zum "Premier Class Hotel": Am Morgen tröpfelt das Wasser aus dem warmen Hahn. Frühstück gibt es getrennt für uns und für die Gäste des angenzenden "richtigen" Hotels. Für uns gibt es nur süßen Brotaufstrich - an der Rezeptiion frage ich nach Käse. Die Verständigung ist schwierig und schließlich gibt die Rezeptionistin auf und bringt mir 4 Scheiben Käse. Ich bin ein bisschen ärgerlich über das magere Frühstück, darum packe ich mir davon ein ordentliches Vesper ein.
Nun muss nur noch die Lisl an der nahen Tankstelle versorgt werden. Leider finde ich keine Luft für ihre Reifen, muss ich eben ein anderes mal danach schauen. Die Motorradklamotten sind leider nicht getrocknet, ich hoffe nur, dass ich damit nicht allzu sehr friere.

Ein geschotterter Feldweg? Nein, das wollten wir eigentlich nicht. Ah, das Navi hat durch das viele Wasser gestern seine Einstellungen selbständig geändert. Ok, zurücksetzen und ab sofort wieder befestigte Wege finden. Über unsere Nebenstraßen bekommen wir einen ganz anderen Eindruck des Landes, als wenn man über Hauptstraßen von Stadt zu Stadt fährt. Wieder gibt es keine Läden oder Versorgungsmöglichkeiten entlang unserer Strecke.

Es ist trüb, die Sonne kann die dicke Wolkendecke nicht durchbrechen. Nach und nach trocknen die Klamotten, die Straße trocknet ab, was aber nicht heißt, daß wir nicht ab und zu wieder ein Schlammfeld passieren müssen. Das nächste kleine Sträßchen ist anscheinend so wenig befahren, daß sich in der Mitte bereits Moos breit gemacht hat. Am Ende landen wir an einem kleinen verfallenen Häuschen mit einem nagelneuen Auto davor. Ein Blick um die Ecke in den Garten zeigt, daß es wohl gerade renoviert wird. Pilzgeruch steigt mir in die Nase. Der anschließende Feldweg war vermutlich vor vielen Jahrzehnten tatsächlich asphaltiert, davon ist aber jetzt nichts mehr zu sehen. Um uns herum braune, verblühte und verwelkte, erntereife Sonnenblumenfelder. Wir sind in der Champagne - ich wußte gar nicht, daß Champagner aus Sonnenblumen und nicht aus Weintrauben gemacht  wird...von Wein ist nämlich weit und breit nichts zu sehen. Lediglich ein paar einzelne Bananenstauden in einem Vorgarten zeugen von mildem Klima.
Das ist ist das Paralleluniversum, das wir gesucht haben: saubere einspurige Ortsverbindungen oder Landwirtschaftswege kreuzen orthogonal die gelegentlich auftauchenden größeren Straßen. So gefällt uns das! Könige der Feld-, Wald-, Wiesenwege!

Mittlerweile sind wir in der großen Ebene zwischen Paris und Orleans angekommen. Kein Wald, kaum Bäume. Die wenigen Waldstücke sind dicht verkrautet, keine Chance, die Koje aufzuhängen. Muß heute mal das Tarp herhalten? Ein gut gepflegter Sportplatz am Ortsrand sieht verlockend aus aber die Nähe zu den Häusern stört mich. Wenige hundert Meter weiter liegt das Chateau de Beauclair, ein hübsches kleines Schlösschen neben einem Aussiedlerhof.
Der Park sieht einladend aus, aber dort zu nächtigen wäre wohl zu frech. Also nutze ich eine kleine Mauer am Schloßgraben, um mein Tarp daran anzudocken. Es bläst ein kräftiger Wind, der leider nicht ganz von der Plane abgehalten wird. Während des Scheibens werden die Finger klamm, ich beginne zu zittern - in der Koje würden die Planen doch etwas mehr Windschutz bieten. Wenn es heut so weiter bläst, werde ich heute Nacht sicher frieren. Die Windräder nebenan lassen vermuten, das er nicht nachlassen wird.
Ich sehne mich nach einem Holzofen im warmen Zimmer.

Mittwoch, 2. Oktober 2024

Schmierseife


Der Zeltaufbau mit Vordach auf der einen und Fixierung des Tarps am Boden auf der anderen Seite war nicht opitmal, die Gischt durchnäßt den Schlafsack. Darum muss ich bei heftigem Regen und böigem Wind mitten in der Nacht raus und umbauen, alle Luken dicht! Auch morgens regnet es heftig, Lagerabbau und Packen macht überhaupt keinen Spaß bei strömendem Regen. Laut Wetterbericht soll das den ganzen Tag so weitergehen, da hilft es nichts, sich noch länger im Schlafsack zu verkriechen. Also, nix wie weg hier; Morgentoilette und Frühstück fallen aus.
Anfänglich vernebelt mir Nieselregen die Brille, später wird es wieder heftiger Regen, beides führt allerdings zu miserabler Sicht. Das Navi findet zwar wieder kurvige Sträßchen ("herrlich" ist heute der falsche Ausdruck), aber der Spaß bleibt aus. Man weiß nie, hinter welcher Straßenecke uns wieder Schmierseife erwartet. Die Lisl ist beim Losfahren schon ausgerutscht, daher sind wir heute im Schneckentempo unterwegs und erreichen trotz zeitiger Abfahrt keine 200 km. Mancherorts ist die Schlammschicht auf der Straße so dick, daß man bestimmt sogar Kartoffeln anbauen könnte. 
An den Dauerregen werden wir uns wohl gewöhnen müssen, das wird im Oktober auf den britischen Inseln nicht anders werden. Ob das Petrus' Rache dafür ist, daß wir bisher dem Regen immer davon- oder hinterhergefahren sind? Wie in Trance folgen wir den Routenvorschlägen des Navis durch die grauen Wasserwände.

Eine häufig vertretene Kuhrasse hier ist weiß und wollig, wären die Tiere nicht so groß, könnte man sie fast mit Schafen verwechseln. Einmal muss ich heimlich grinsen, als ich einen alten Mann sehe, der seine Jacke notdürftig mit einem roten Strick zugebunden hat - mein Hosengürtel ist ja auch nur ein mißbrauchter Rolladengurt. 
Lisls Durst steigt täglich - ich glaube, ich muss den Verbrauch bald nach Betriebsstunden statt nach Kilometerleistung messen.
Französisch - das ist eine fremde Sprache für mich. Bei "Fremdsprache" schaltet mein Hirn sofort auf norwegisch um, aber das ist hier wenig hilfreich. Statt französischen Wörtern, rutschen mir manche Antworten auf norwegisch heraus. Meine Gedanken finden zwar in deutsch statt, aber mein Hirn versucht ständig, diese auch auf norwegisch zu formulieren.

Mittagspause: auch hier finden wir heute nichts Gescheites - keine Tankstelle, kein Café, nur einen Supermarkt mit Bäckerei im kalten Eingangsbereich und ohne Lademöglichkeiten für die Elektronik. Auch der heiße Kakao wärmt nicht wirklich. Warum ich uns das alles antue? Ja, das frage ich mich auch gerade. Was mach ich nur in der Nacht? Ein Aufruf an die Motorradfahrer-Gastgeber ist leider erfolglos, also muss ich wohl diesmal ein Hotel suchen. Das günstigste ist so ein Automatenhotel mit winzigen hellhörigen Räumen. Die einzig positiven Dinge dieses Hotels sind ein Dach über dem Kopf und eine heiße Dusche, wobei allerdings die Lisl die Dusche viel nötiger hätte. Leider bekommt sie auch hier keinen trockenen Platz. Ich bin gespannt, wie weit die gesamte Ausrüstung bis morgen trocknet?

 

Dienstag, 1. Oktober 2024

Durch die Vogesen




 
Unter Dach aber im Freien und ungestört habe ich so gut und lange geschlafen, dass wir auch heute wieder erst sehr spät loskommen. Der Dresscode heißt "Regen", aber ohne Brille und Lenkerstulpen. Wie sich herausstellt, war das die perfekte Wahl. Schon bald sind wir wieder auf einem herrlich kurvigen Stäßchen, nur sind leider Lisls Sohlen noch dick lehmverklebt von dem Dreck, den die Traktoren auf den ersten Metern unseres Weges verteilt haben. Dann tauchen wir ein in den Nationalpark "Noord-Vogesen". Kurz darauf sollen wir auf eine vierspurige Straße? Die Lisl schüttelt den Kopf...aber es sind nur wenige hundert Meter, dann dürfen wir wieder ins Abseits. Cherbourg liegt im Nordwesten und das Navi schlägt einen südlichen Weg ein - dafür werden wir ja auch mit den tollsten Kurven belohnt. In Saverne stecken wir im Stau: eine ampelgesteuerte Baustelle läßt uns in jeder Grünphase nur 100 m weit kommen und dann wieder 5 min warten. Irgendwann ist das zum Glück auch geschafft.

Ich stelle fest, dass wir heute noch gar keine Tankstelle oder einen Supermarkt gesehen haben!? Kein Wunder, denn das Navi führt uns auf die kleinstmöglichen Straßen, durch alte Bauerndörfer ohne Versorgungsmöglichkeit. Aus den Augenwinkeln erspähe ich in einer etwas größeren Ortschaft pünklich zur Mittagszeit eine Bäckerei. Passt!
Unsere Tour ist eine abwechslungsreiche Mischung aus schmalen Wegen mit engen Kurven, die wir im Omatempo nehmen und breit geschwungenen Straßen, wo die Lisl sprotlichen Walzer tanzen darf. Es ist kalt und windig, die Kamine rauchen bereits und verbreiten einen feinen Holzfeuer-Duft. Im Wald versteckt verläuft neben uns ein Kanal, manchmal kann man durch die Bäume ein langsam dahinschwimmendes Hausboot erspähen.
Einen an der Straße stehenden Tramper können wir leider nicht mitnehmen, auch nicht das zweite mal, als wir ihn kurz darauf wieder sehen. Ein freundlicher LKW-Fahrer überläßt uns an einer Abzweigung zum nächsten Kurvensträßchen die Vorfahrt. Er hält zwar unsere Geschwindigkeit, aber mit freier Sicht und Fahrt vorauszufahren macht viel mehr Spaß - danke!

Da ich heute abend wieder einen Video-Call habe, möchte ich rechtzeitig Schluss machen. Die Kilometerleistung ist nicht so wichtig, wir haben ausreichend Zeit, bis die Fähre von Cherbourg ablegt. In meinem Kopf entsteht ein Bild, wie ich mir das heutige Nachtlager vorstelle. Es ist schon seltsam, wie ich von einem Turm auf dem einzig sichtbaren Berg magisch angezogen werde. Es ist die Basilika Notre Dame de Sion mit einem großen Parkplatz, schön angelegt, aber nur zum Anschauen. Nicht für mich - Heiligtümer sind nichts für mich. Hier kann und darf man sicher auch nicht nächtigen. Nicht weit entfernt zeigt die Karte einen Parkplatz, den schauen wir uns auf jeden Fall an. Das ist ein schönes Plätzchen - nicht ganz wie vorgestellt, aber perfekt! Auf der Höhe (also hochwassersicher), mit Sitzgarnituren, Mülleimern und einem Gebäude, das zwar verwahrloste Toiletten, dafür aber jede Menge frisches Wasser bietet. Dahinter ist eine große, hinter der Kuppe abfallende Wiese mit ein paar einzelnen Bäumen. Mein Traumplatz ist von der Straße nicht einsehbar und bietet einen wunderbaren Ausblick auf den Kirchturm.

Bislang habe ich wohl alles richtig gemacht. Es ist halb sechs, erst jetzt beginnt es zu nieseln und ich sitze bereits in der Koje mit Vordach, das heißt, wir sind regensicher. Die Lisl muss allerdings leider wieder draußen bleiben.


Montag, 30. September 2024

Rheinfähre

Bei Niesel- und Schnürlregen läßt man sich mit dem Aufbruch gerne Zeit, besonders wenn es so ein opulentes Frühstück mit Backwaren gibt, die ich in Norwegen so sehr vermisse. Um halb elf sind wir dann doch endlich - gut gefüttert und wasserdicht eingapckt - auf Tour. Den Routenvorschlag meiner Navi-App, der weit nach Süden wieder über die Alb führt, verwerfe ich heute und nehme eine Abkürzung entlang der Südkante von Stuttgart. Die Großwetterlage veranlasst mich dazu. Tatsächlich zwingen und schlechte Sicht, wenig Straßenhaftung und schwache Brenswirkung in den Schneckenmodus. Schade um die schönen Kurven, die wir dennoch zu Beginn fahren dürfen. Im Großraum Stuttgart sind die vierspurigen Straßen, Ampeln am laufenden Meter, dichter Verkehr und von den Fahrzeugen aufgwirbelte Gischt nicht unbedingt unser Lieblings-Aufenthaltsort. Die Halterung für mein Navigationsgerät zitter (vor Angst?), sie wird heute Abend etwas Aufmerksamkeit benötigen.

Gegen Mittag bricht gelegentlich die Sonne durch, der Himmel wird blauer und zwischen all den Industriebauten tauchen von wenigen Sonnenblumen gesäumte Kohlfelder auf, an denen sich auch Fischreiher wohlfühlen. Die Straßen werden schmäler, der Verkehr nimmt ab und die Kurven nehmen zu - trotzdem fehlt heute die Hochstimmung. Meine Gedanken sind nicht hier, sie kreisen um die aktuelle Weltpolitik. Ich versuche, mein Weltbild auf den Prüfstand zu stellen, ob meine Ansicht begründet ist? Leider gelingt mir das nicht. Der Duft von frischem Holz steigt mir bei einem Sägewerk in die Nase und gleich danach findet die Lisl eine preiswerte Tankstelle. Pause. Ich möchte meiner Patentante zum 98-sten Geburtstag gratulieren, kann sie aber telefonisch leider nicht erreichen. Endlich gibt es andere Gedanken. In Schottland möchte ich einen ehemaligen Schulkameraden besuchen und bekomme von ihm einen Zeitplan - er ist viel beschäftigt. Leider passt das nicht mit meiner Streckenplanung zusammen, aber ich kann ja meine Planung ändern? Dann nehmen wir uns halt zuerst Irland und danach England vor? Ok, liebes Navi, neu planen. Es macht seinem Namen "kurviger" alle Ehre und findet jetzt wieder die besten Kurven im Nordschwarzwald!

Eine Fähre über den Rhein! Eine willkommene Abwechslung. Wir müssen ein wenig warten, bis das lange Ausflugsschiff vorbeigezogen ist. Wups, sind wir drüben und in Frankreich! Frankreich, das Land von Baguette, Croissant und Käse!!!  Ich bin gespannt, wie sich mein Navi im flachen Frankreich anstellt. Das Wetter ist weiterhin durchwachsen, sämtliche Feldwege sind aufgeweicht und unbefahrbar. Die Schlafplatzsuche gestaltet sich heute schwierig, zumal ich gerne ein Dach über mir hätte. Erst gegen halb sechs werden wir fündig und ich gebe mich mit einem Unterstand am Ortsrand zufrieden. Ich werde hier auf jeden Fall keine Koje aufbauen müssen, denn es sind ein paar breite Betonstufen vorhanden, die sich als Bett eignen.



Sonntag, 29. September 2024

Orte meiner Kindheit

8:30 Uhr - Unruhe und Blase treiben mich aus dem warmen Schlafsack. Das Zelt ist vom Kondenswasser klatschnass, das Thermometer zeigt 1,4 Grad an! Noch kälter als vorhergesagt! Später erzählt mir eine Verkäuferin, dass sie ihr Auto vom Eis frei kratzen musste - da hab ich ja noch Glück gehabt.
Während aus den Wiesen der weiße Nebel wunderbar steigt, bleibt ein älterer Spaziergänger mit Hund neugierig stehen und sieht mir beim Packen zu. Mein Nebenher-Frühstück besteht aus einer (gestern) frischen Brezel mit Frischkäse. Der ältere Mann traut sich nicht her, aber als ich ihn grüße taut er auf. Was ergibt sich? Natürlich - Benzingespräche! Er ist schließlich früher auch Motorrad gefahren....
Ich bin froh, mein Lager am entfernten Eck der Wiese aufgeschlagen zu haben, denn am Grillplatz hat sich mittlerweile eine Frühstücksgesellschaft mit vielen Autos versammelt. Das wäre ungemütlich geworden.

Als wir gegen halb elf erst loskommen, ist die Temperatur auf immerhin 8 Grad gestiegen. Trotzdem brrrr. An vielen Häusern in den kleinen alten Dörfern rauchen bereits die Kamine und es riecht so romantisch nach Holzfeuer! Das Navi ist heute toll - was es mir anbietet ist vom Allerfeinsten: kleine, dunkle, (15%)steile Waldsträßchen mit engsten Kurven, weite Täler mit langezogenen Schräglage-Biegungen, Serpentinen entlang senkrechter Felswände. Wir kommen aus dem Schwelgen gar nicht mehr heraus. Ebenso die Landschaft drum herum: felsige, tannenbewachsene Magerwiesen auf denene Schafte weiden - ich bin ganz aus dem Häuschen. Leider läßt sich das alles nicht in Bildern festhalten, nur für (hoffentlich) immer im Herzen.

Mittagspause ist in einem netten warmen Café mit lange vermißtem Zwiebelkuchen und natürlich einer Tasse Kakao als Kompensation zu dem eisigen Wind, der mir in die Ärmel pfiff. Am Nachmittag ist die Alb übervölkert mit Wanderern / Spaziergängern mit Kind, Kegel und Hund, Radfahrer, natürlich Sonntags-Motorradfahrern und insbesondere Sportwagen und Cabrios. Kindheitserinnerungen an sonntägliche Pflichtspaziergänge kommen hoch.

Dieser Asuflug über die Schwäbische Alb hat sich wirklich gelohnt! Ich wußte gar nicht, dass ich mal in so einer herrlichen Landschaft gelebt habe. Der letzte Streckenabschnitt zu meinem jüngsten Bruder führt mich nämlich an meinen Geburtsort und den Ort meiner frühen Kindheit. Von meinem Geburtsort weiß ich nur Name und Straße, nicht die Hausnummer. Aber ich war ja auch erst 1 Jahr alt, als wir dort weggezogen sind. Vom Ort meiner Kindheit habe ich nur ein Bild des Hauses und der näheren Umgebung vor Augen. Da Plüderhausen nicht ganz klein ist und sich in 60 Jahren ziemlich verändert hat, glaube ich kaum, dass ich das alte Forsthaus finden werden. Aber - wie man sich täuschen kann! Ich finde es, obwohl drumherum alles anders aussieht. Ein Detail an das ich mich immer erinnere ist tatsächlich noch vorhanden! Es ist eine kleine Tür mir halbrundem Ausschnitt - das war die Hundehütte, einer meiner Lieblingsplätze als kleines Kind. 

Mein Bruder wohnt gar nicht weit weg (war mir nicht bewußt). Wir verbringen einen schönen Nachmittag, der Abend vergeht wie im Flug bei interessanten Gesprächen und leckerer Verpflegung.