Als ich gestern abend bei Sturm und Regen in der Koje vor dem Laptop saß, hörte ich Schritte und dann hat jemand gepinklet. Ich habe mich total ruhig verhalten und gehofft, daß der Jemand wieder geht. Stattdessen höre ich eine weibliche Stimme "Hallo? Geht es Ihnen gut? Brauchen Sie Hilfe? Ist Ihnen kalt?" "Nein", antorte ich, "alles ist in bester Ordnung, mir geht es gut". Die Dame geht - mit ihrem pinkelnden Hund. Etwa eine Stunde später wieder die Stimme "Hallo, hier ist Joyce mit meiner Freundin Pam. Ich war vor einer Stunde hier. Ich wollte Ihnen etwas Warmes bringen." Ich bitte die Damen zur anderen Zeltseite und strecke den Kopf heraus - Joyce hat eine ganze Thermoskanne kochenden Tee und 2 Stück in Alufolie gewickelten Rosinenkuchen mitgebracht! Was für eine tolle Überraschung! "Wir wollen nicht stören oder neugierig sein, wir sind nur besorgt, ob es Ihnen gut geht!" Joyce bietet mir sogar ein Bett bei sich zu Hause an, aber jetzt ist mein Lager ja schon aufgeschlagen. Das hätten wir vorher wissen sollen.... Es entwickelt sich ein sehr nettes, längeres Gespräch. Was man nicht alles so erfährt von den Menschen: über ihren Beruf, ihre Erfahrungen, ihre Träume und Erlebnisse. Zum Schluss werde ich noch vor einem Sturm am Sonntag und Montag gewarnt.
Trotz Dach über dem Kopf ist meine Koje naß geworden und am Morgen noch nicht abgetrocknet. Die versprochene Sonne läßt nauch och auf sich warten. Die meisten Passanten heute morgen grüßen freundlich, eine Dame fängt gerne ein Gespräch mit mir an und freut sich, daß ich ihr die Hängematte genauer zeige. Joyce' Tee hat jetzt genau die richtige Temperatur und ergibt zusammen mit dem Kuchen ein fürstliches Frühstück. Noch ist es diesig und bewölkt, der dresscode bleibt bei "Regen", als wir uns aus St.John's Town of Dalry Richtung Nordwesten aufmachen.
Schon bald bricht die tiefstehende Morgensonne durch und läßt die kräftigen, bunten Herbstfarben in der klaren frischen Luft golden vor dem blauen Himmel erstrahlen. Das hebt die Stimmung immens! Fröhlich pfeifend nehmen wir noch den einen oder anderen Umweg unter die Räder, schließlich ist der Sinn des Motorradfahrens ja das fahren. Unser Übernachtungsort liegt schon fest. Wir durchqueren baumlose Hochebenen mit schwarzen wolligen Kühen ebenso wie die bekannten dunklen Urwälder um moorige Bäche. Trotz der niedrigen Temperaturen krabbeln mir ziemlich viele Insekten unter die Brille und in den Schal - wie muss das erst im Sommer sein?
Ein Wegweiser lockt uns zum Castle Dunure, das anscheinend für die TV-Serie "Der Outlander" als Drehort gedient hat. So spät im Jahr sind kaum mehr Touristen dort und es kostet auch keinen Eintritt bzw. Parkgebühren mehr. Die Kulisse ist schon phantastisch - imposant ragen die massiven Ruinen des alten Gemäuers vor der typisch schottischen Küste gegen den strahlenden Himmel auf. Etwas abseits verläuft ein kreisförmiges Steinlabyrinth um einen mystischen Stein in der Mitte. Ich versuche, mich hineinzufühlen in das Leben, das hier einmal geherrscht haben muss. Dieser Abstecher hat sich definitiv gelohnt!
Wir fahren noch eine zweite nicht so imposante Schleife an die Küste. Hunderte sonderbare, meterhohe Metallmasten stehen in Reih und Glied - was das wohl sein mag? Es stellt sich als riesiger Jachthafen in Largs mit Trockendocks für Segeljachten heraus.
Mein Regendress wird ordentlich warm, als ich Mittagessen kaufen gehe. Zum Ablegen der Regenhose bin ich allerdings zu faul und während der Fahrt ist es wenigstens kuschelig warm. Auch wenn das Licht am Spätnachmittag bedrohlich nach Gewitter aussieht, erreichen wir Sharon & Robert in Lennoxtown ohne heute einen Regentropfen abbekommen zu haben!Es geht sehr eng hier zu, die Lisl muss zuerst abgepackt werden, bevor sie durch das schmale Gartentor passt. Dann muss sie noch um ein paar enge Ecken zirkeln, bis sie im Garten hinter dem Haus ihren Schlafplatz erreicht. Mir geht es ähnlich - mit Gepäck komme ich kaum durch den engen Flur in Finleys Zimmer, das mir der Junge für heute abtritt. Die 4-köpfige Familie mit enbenso vielen Katzen hat nur 4 kleine Zimmer, eine winzige Küche und ein genauso winziges Bad. Dennoch nehmen sie gerne Gäste auf. Gerne würde ich mich mit den Erwachsenen und den Kindern unterhalten, aber der schottische Dialekt ist so schwierig zu verstehen, dass ich eigentlich einen Dolmetscher bräuchte. Und Finley kann reden wie ein Maschinengewehr!. Es ist sehr anstrengend, darum ziehe ich mich dann auch bald zurück.