Eigentlich bin ich schon eine Zeit lang wach, mag aber nicht aufstehen. Die Ausrede ist das nasse Zelt. Aber in Wirklichkeit ist es draußen einfach nur kalt und ungemütlich, die Wolken hängen noch sehr tief. Ich habe Lust auf Kaffee und werde mich auf die Suche machen. Um halb neun stehe ich auf, der ganze Körper ist von den Mikroben-Mücken vorgestern verstochen und juckt. Meine Morgengymnastik kommt wieder mal zu kurz, dafür sind wir noch vor halb zehn unterwegs.
Schon bald erspähen wir eine passende Tankstelle, bei der wir kostenlos heiße Getränke bekommen - wenn sie denn geöffnet wäre! Das bemerke ich leider erst, nachdem alles ausgepackt ist. Ich muss nämlich auch das Laptop laden und habe gestern abend vergessen, den Blog hochzuladen.
Es geht hinauf auf die Hardangervidda, entlang eines Flusses, der sich wasserreich über ausgewaschene, riesige Felsplatten und zwischen glattgeschliffenen Felsbrocken ergießt. Über 1000 m liegen die Wolken unter uns - Ein herrlicher Ausblick. Es gibt allerdings noch ein paar weitere Wolken zwischen uns und einer strahlenden Sonne, aber teilweiser Sonnenschein ist auch nett. Auf 1200 m liegt der Sønstevann, wo schon ein kræftiger Wind bläst. Von hier aus schlängeln wir uns ins Uvdal hinunter, an einigen Stabkirchen vorbei und sind leider auf einer Hauptstraße zwischen lauter Wohnwagengespannen und Wohnmobilen gefangen. Serpentinenreich dürfen wir nach vielen Kilometern dann wieder auf einer freien Nebenstraße auf 800 m aufsteigen. Hier ist es kurvig, kalt und windig. Typisch norwegisch sind die vielen Hütten, die sich einzeln oder in Gruppen unauffällig in die Landschaft integrieren. Ab, in's nächste Tal, das Hallingdal. Immer wieder Berg und Tal, dann ist es höchste Zeit für eine Mittagspause in Nesbyen. Bislang ist keine einzige Kaffee-Tankstelle aufgetaucht und auch in diesem Ort ist keine auffindbar. Also kaufe ich im Supermarkt ein wenig ein und setze mich dann in der Sonne zu ein paar Radlern an den Tisch. Von meinem Smalltalk-Partner erfahre ich, daß Nesbyen angeblich Norwegens wärmster Ort ist. Bei den 25 Grad kann ich das sogar fast glauben. Die Pause fällt lange aus und ich tanke Wärme auf Vorrat.
Im Anschluss geht es leider wieder auf Hauptstraßen den Hallingsdalelva entlang nach Gol, einem Ski- und Touristenort. Nix für uns! Die nächste Nebenstraße führt uns das Golfjell entlang, eine nicht besonders spannende Hochebene mit Wald und vielen Steinen. Der Wind nimmt nun immer mehr zu und wird böiger. Er fährt unter den Sonnenschild meines Helms und beutelt heftig meinen Kopf. Die Fahrerei ist total anstrengend. Ob hier die Riesen aus Jotunheimen (Heim der Riesen) schnarchen und diese Böen verursachen? Tunnels versprechen etwas Entspannung, aber leider keine Wärme. Angeblich wird auch gerade die "Jotunheimen Rundfahrt" - ein Radrennen - durchgeführt, aber davon ist nichts zu sehen. Ob die Radler schon alle vom Winde verweht sind? Bis zu 55 km/h werden die Böen stark und kurz vor wir ins Årdal hinunterkommen, geraten wir in eiskalte Regenwolken. Ich kann kaum die Regenhose anziehen, so klamm werden meine Finger vomm eisigen Sturm. Auf 7 Grad ist die Temperatur gefallen, mein Wärmevorrat ist schon lange aufgebraucht. Ich will nur noch weg hier. Langsam und vorsichtig kämpfen wir uns durch den Eisregen Richtung Westen.
Als die Lisl Hunger bekommt, taucht tatsächlich eine Tankstelle auf, an der wir auch wieder gratis Kaffee tanken dürften - wenn ein shop dabei wäre. Hier steht aber nur eine einsame Zapfsäule und ein teures Hotel. Wieder nix mit Kaffee! Kein Wunder, ich bin schon wieder ziemlich müde. Romantisch ist unser heutiger Schlafplatz in Øvre Årdal sicher nicht, aber hoffentlich wind- und wettergeschützt. Für heute Nacht und Morgen ist wieder heftiger Regen angesagt und der Wind scheint nicht hierher zu kommen. Wir haben ein paar niedrige Fichten zwischen Straße / Fußweg und einer Fabrik gefunden (morgen ist Sonntag, da sollte es ruhig sein). Der Boden ist mit Nadeln bedeckt und die Bäumchen schützen uns (hoffentlich) vor Regen und unerwünschten Blicken. Immerhin haben wir hier unten auf Meereshöhe schon wieder 18 Grad.