Gestern Nacht gab es noch einige Gewitter mit heftigen Regensüssen, etwas Dauerregen und dann hat es irgendwann aufgehört. Ich habe sehr gut und trocken geschlafen, muss aber heute Morgen das Zelt abtrocknen und den hochgespritzten Sand von den Taschen entfernen. Auf der anderen Flussseite erscheint mit viel Geplapper eine Touristengruppe am gestrigen Angelplatz. Als ich fast mit packen fertig bin, tauchen auch bei mir 5 fröhlich ratschende Damen auf Wanderung auf. Wir tauschen auf englisch ein paar Worte aus - leider reicht die schmale Rente der reiselustigen Frauen nicht für so eine große Reise wie meine. Sie müssen sich noch etwas dazuverdienen.
Um 9:30 brechen wir auf - tschüß schöner, wilder Platz. Es ist grau und diesig aber trocken. Die ersten 200 m treiben meinen Puls in die Höhe, aber wir haben ja gelernt, wie man ausgewaschene Schotterstraßen hoch fährt: aufstehen, Knie an den Tank, Schwung und den Rest der Lisl überlassen. Toll macht sie das immer noch!
Frühstück gibt es an einer Tankstelle - nicht für die Lisl aber für das Laptop und mich. Hier kann ich auch die gestrigen Bilder hochladen. Der kleine Kakao, den ich mir gönne, ist doppelt so groß wie ein großer in Norwegen und kostet vielleicht ein Drittel. Ich möchte gerne etwas weiter in den Süden, dort warten Berge auf uns, darum passe ich die Route wieder an. Die Navigation will unbedingt eine Ecke nach Norden einbauen, aber auf der Karte gibt es auch einen direkten Weg nach Südwesten. Ach, ich weiß: der direkte Weg ist nicht asphaltiert, darum wird er vermieden. Wir entscheiden uns kurzerhand, wieder ein bisschen "offroad" unter die Räder zu nehmen. Es ist eine breite Straße mit Sand und Schotter, aber es scheint eine Rennstrecke zu sein: Waschbrett vom Feinsten. Arme Lisl! Wir rumpeln dahin und genießen es eigentlich sogar. Es geht Richtung Polen. Ich bin gespannt, wie so eine Grenze am Schotterweg aussieht?
Ein Schild, Verschmälerung und Verschlechterung des Wegs und wir sind in Polen! Schon nach wenigen hundert Metern gelangen wir auf ein gutes kleines Asphaltsträßchen, ein Indikator für unsere heutige Straßenqualität. Auch die Straßen, die laut Karte in Litauen unbefestigt waren, sind hier ahspahltiert. Meistens sogar ganz neu oder in sehr gutem Zusatand. Lediglich einmal fällt auf, dass wir den Bezirk wechseln, denn an der Grenze beginnt schlagartig in miserables Straßenstück. Unsere heutige Strecke verdient schon ein bisschen das Prädikat "kurvig", auch wenn wir weite Strecken über ausgedehntes Flachland fahren. Fahrspaß! Viel Landwirtschaft, hübsche oder überschaubare Dörfchen, kleine oder große Waldstücke, so sieht heute unser Alltag aus.
Ui ui ui - meine seit über 30 Jahren treue und geliebte Trinkflasche ist weg - wo ich doch sowieso zu wenig trinke! Das ist sehr traurig, zumal ich sie in Norwegen schon an einigen Stellen abgedichtet und unterwegs nochmal nachgebessert habe. Die Flaschenhalterung wollte leider ebenfalls schon seit ein paar Tagen nicht mehr mitspielen, weshalb die Flasche auf dem Ersatzteilkoffer eine neue Heimat gefunden hatte. Unterwegs hatte ich heut schon einmal festgestellt, daß sie einen Fluchtversuch unternimmt. Ich vermute, das Wellblech hat sie endgültig verscheucht. "Wo auch immer Du von uns gegangen bist, liebe Flasche, ruhe in Frieden"!
Was es sonst noch zu sehen gibt? Auf den Telegrafenmasten findet sich ab und zu ein Storchennest, die Vögel scheinen aber schon abgereist zu sein. Eine 600 Jahre alte Holzkirche und ein Stadtfest in Tykocin (klingt wie ein Medikament). Es sind einige Buden mit lokalen Köstlichkeiten und Eis aufgebaut. In einem kleinen Supermarkt möchte ich eigentlich nur eine Ersatzflasche kaufen, kann ja gerne etwas drin sein. Eine Milchflasche scheint mir geeignet. Zusammen mit einer kleinen Flasche Wasser, einer Pizzasemmel und einer Nußschnecke zahle ich nur 3,06 €! In Norwegen hätte ich das alleine für die Milch bezahlt, die dann auch noch bitter schmeckt und schnellstens verdorben ist. Diese hier schmeckt herrlich nach Milch!Vor uns braut sich was zusammen, der Wetterbericht verleugnet Regen, meine Regenmacher-Erfahrung verheißt Anderes. Kompromiß - wir haben Beide recht: die Straße ist naß, aber jetzt regnet es nicht mehr.
Ich habe mal die Gesamt-Reststrecke bis Aschbuch überschlagen und festgestellt, daß wir deutlich zu langsam sind oder zu viele Umwege machen. Daher ist heute das Etappenziel 250 km oder 17 Uhr. Dann ist allerdings nicht mehr viel Zeit für die Schlafplatzsuche. Also bereits vorher konditionieren und nach Gelegenheiten Ausschau halten. Es gibt hier so viele schöne hohe Kiefernwälder, da müßte doch was zu finden sein? Das Problem ist, daß es keine Feld- oder Waldwege oder Einfahrten gibt,wo die Lisl sich platzieren könnte. Also prüfen wir Nebensträßchen von Nebensträßchen und zu guter Letzt biegen wir in eine Sackgasse zu wenigen Häusern ab. Gegenüber einem verlassenen Anwesen zweigt ein Sandweg ab von wo aus wir direkt in einen Kiefernwald schlüpfen können. Ja, so habe ich mir das vorgestellt. Einziger Nachteil ist, kein Waschwasser - aber man kann ja nicht alles haben.
Nachdem ich nun schon etwas Erfahrung mit der Hängematte habe, stoppe ich heute mal die Aufbauzeit: 20 min (inkl. Tarp-Abspannung) sind auf jeden Fall noch zu viel. Bin mal gespannt, wie weit sich das im Lauf der Wochen noch optimieren läßt. Das Tarp hätte ich mir vermutlich sparen können - der Wetterbericht meldet keinen Regen - aber sicher ist sicher...