Mittwoch, 18. September 2024

Paralleluniversum "Sträßle"

Kurz vor acht wacht die Baustelle leise auf. Ich bin schon eine Zeitlang wach, kuschle aber noch im warmen Schlafsack. Gestern abend hat sich auf dem Platz noch die männliche Dorfjugend versammelt, aber sie waren erstaunlich leise und haben sich von mir fern gehalten. Wir haben eine gute Wahl getroffen, zeigt sich im weiteren Streckenverlauf - es zeigt sich kein geeigneter Platz mehr. Lisls Auspuff ist leise, dafür hat meine Brille einen Nasenbügel verloren. Tja, wir werden eben alle altersschwach.

Straßensperre? Einfach ignorieren. Beim 4. Sperrschild geht's dann anscheinend wirklich nicht mehr weiter. Die ganze Straße im gesamten Dorf ist aufgerissen. Aber was machen die Einheimischen? Na ja, das können wir auch - auf der Trasse geht's mitten durch. Eine Alternative hätte es sowieso nicht gegeben. Nun landen wir auf einer großen Schnellstraße, die parallel zur Autobahn verläuft. Daher hält sich der Verkehr zum Glück in Grenzen. Nackte Wände eines Abrisshauses recken sich in die Höhe - über der Eingangstühr steht groß "Eden".

In Zagan gibt es hoffentlich einen Supermarkt; auf den ganzen Minidörfen, die wir passieren gibt es ja keine Versorgungsmöglichkeit. Wir müssen mitten durch die Stadt und über den Fluss Bober. Auf der anderen Flussseite gibt es einige Suüermärkte. Aber als wir an die Brücke kommen, ist sie gesperrt. Sieht aus wie ein Volksfest: viele Schaulustige, blinkende Lichter. Leider scheint es keinen anderen Weg über den Fluß zu geben, also halte ich ratlos an der Sperrung und studiere das Navi. Ein Soldat kommt auf mich zu und erklärt mir, dass die Brückensperrung dem Hochwasser auf der anderen Seite geschuldet ist. Er kennt sich hier nicht aus. Schließlich finden wir eine große Umgehungsstraße und versuchen unser Glück dort - die Straße verläuft auf einem Damm, das Wasser steht rechts und links davon "Oberkante Unterlippe". Menschen füllen Sandsäcke und stapeln sie auf. Militär-LKW in Begleitung von Polizei-Motorrädern rücken an. Wir sind drüben! Ich hoffe, daß wir damit die letzte Hürde aller Fluten genommen haben.

Manchmal müssen wir auf großen Straßen - so wie heute Vormittag - mit dem Verkehr schwimmen, aber dann tut sich zum Glück immer wieder ein Schlupfloch in das Paralleluniversum der Ministräßchen auf. Kühle Wälder säumen schmale Wege. Der Untergrund besteht vermutlich meist aus altem Pflaster - manchmal eiern wir direkt darauf herum, manchmal lugt es unter abgefrästem Asphalt hervor. Hält auf jeden Fall länger als die modernen Asphaltstraßen. Ich hoffe, auch in Deutschland können wir im Paralleluniversum weitertingeln.

15:00 Polnisch-deutsche Grenze. Nochmal günstig tanken! Die Völker-oder besser Autowanderung findet hier nach Osten statt (zum tanken und einkaufen). Die Straßenführung ist auf der deutschen Seite auf jeden Fall deutlich motorradfreundlicher. Auch wenn es eben ist, gibt es nicht "kerzengerade - 90 Grad", nein hier schlängeln sich gute Asphaltstraßen in motorradgerechtem Kurvenstil durch die Landschaft. Herrlich!

Es ist heiß. Das Wetter: morgens sonnig und kühl, abends sonnig und schwül! Und dann ab zu meinem alten Kumpel Bunge, wo ich mich für eine Übernachtung eingeladen habe. Wir haben schon einige Abentuer mit dem Motorrad zusammen erlebt! Die letzten Meter zu seinem Haus sind eine echte Herausforderung: von allen Seiten treffen wir auf Sperrschilder und Straßensperrungen wegen Baustelle. Durch's Hintertürle kommen wir dann doch noch an. Der nagelneue Grill wird extra für mich gestartet und ich werde fürstlich bewirtet. Am allerschönsten sind die vielen "weißt Du noch?". Was der Eine vergessen hat, weiß der Andere noch und umgekehrt. Ich glaube, wir sind alt geworden, wenn man von den Erinnerungen lebt. Es wird sehr spät aber eigentlich gäbe es noch sooo viel "weißt Du noch"...