Kurzerhand habe ich beschlossen, den heutigen Tag noch mit Wayne in Inverness zu verbringen und habe damit wohl meinen nächsten Besuch bei einem ehemaligen Klassenkameraden durcheinander gebracht. Aber Wayne ist ein ganz besonderer und faszinierender Mensch! Schon unser erster Kontakt war etwas seltsam, ich wußte nicht richtig, was ich davon halten sollte. Ich bekomme in unseren Gesprächen nur ganz kleine Blitzlichter aus seinem spannenden und abwechslungsreichen Leben zu hören - ich will so viel mehr wissen!
Es ist bereits die zweite annähernd schlaflose Nacht weil meine Gedanken sich um diese Begegnung drehen. Es gibt so viele sonderbare Umstände: Waye wußte gar nicht, dass er auf der Bab-Plattform verzeichnet ist. Sein uriges Boot ist das gleiche Baujahr wie meine Lisl, 1988. Er hat ähnlich viele Länder bereist und ähnliche Erlebnisse gehabt wie ich - es ist wie eine Seelenverwandschaft. Die Gespräche mit einem eigentlich wildfremden Menschen gehen schon sehr tief!
Um nicht den ganzen Tag auf dem Boot zu hocken (natürlich scheint heut die Sonne!), tauschen wir die Bikes. Nein, nicht sein Bike gegen meines, sondern die Motorräder gegen Fahrräder. Wayne fährt ein Mountainbike mit Hundeanhäger für Sir Moss, einen jungen scottisch Bordercollie. Ich bekomme ein Rennrad, das wirklich gar nichts wiegt! Es hat ziemlich sicher einen Carbonrahmen und eine gewähnungsbedürftige Schaltung. Wayne hat es gefunden und die Polizei hat es ihm überlassen, ich denke, es ist sehr wertvoll! Es ist eine sehr ungewohnte Fahrt damit, ich bin vorsichtig. Ich brauche ein paar Dinge, die ich so schnell wie noch nie erhalte: das Getriebeöl steht nur 3 min von uns entfernt für einen Spottpreis zur Verfügung. Meine derzeit zerfleddernden Handschuhe kann Wayne selbst ersetzen, er scheint da eine günstige Quelle zu haben und überläßt mir ein Paar, das nutzlos auf dem Boot herumliegt. Als Gastgeschenk möchte ich noch eine Flasche Wein für meinen nächsten Besuch mitnehmen, auch die bekomme ich auf dem Schiff - dort gibt es einen großen Vorrat!
Die Lisl durfte heute zwischen ganz vielen Segelbooten ausruhen und sich mit Waynes BMW unterhalten. Was die sich wohl erzählt haben? Meine Lisl trägt immer noch viel Gepäck, das ich heute nicht benötige, Waynes Bike ist mit einem sehr großen, super ausgestatteten Hundekäfig (Solarzellen, Ventilatoren) ausgerüstet.
Inverness ist wirklich nicht groß - ja, es gibt Gewerbegebiete und einige Verkehrskreisel, aber eigentlich nur eine einzige Straße / Fußgängerzone. Allerdings einen wunderschönen Weg am Fluss (Ness) entlang, der momentan Hochwasser führt. Wie viele Parks es hier gibt! Schön! Während wir fahren, können wir uns kaum unterhalten, darum finden wir uns bald in einem Cafè bei Kaffe und Kakao. Geschichten! Geschichten aus dem Leben. Philosophie. Gott und die Welt.
Es wird frisch, wir wechseln die Lokalität und radeln zu einem Cafè in der Fußgängerzone, wo wir am frühen Nachmittag ein "schottisches Frühstück" zu uns nehmen. Eigentlich ist es eher ein Mittagessen, so umfangreich. Die Erzählerei geht einfach weiter. Irgendwann kommen wir tatsächlich "nach Hause", d.h. zurück zum Boot. Wayne ruht sich ein wenig aus, während ich die Lisl pflege, sie bekommt ihr Öl.
Und dann geht die Erzählerei weiter - wir kommen an die Abenteuergeschichten. Zu jedem Abenteuer, das einer von uns erlebt hat, gibt es ein Pendant vom Anderen! Wir können gar nicht mehr aufhören - wir erinnern uns an längst vergessene und vergrabene Erlebnisse. Was für ein Abend!!!
Seelenverwandschaft. Mystisch.