Montag, 9. September 2024

Kurviger

Ich habe gestern Nachmittag nach einem kurzen Blick auf das kleine Display des Handies die Überfahrt nach Lettland für Dienstag abend gebucht. Am Abend checke ich die Strecke nochmal und stelle fest, dass ich mich um einen Tag verschätzt habe. Nun gibt es drei Möglichkeiten:
  1) Innerhalb von 24 h stornieren - ja, geht, aber ohne Erstattung der 85 €. Ha ha!
  2) Umbuchen - geht auch. Das Ticket ist dann billiger aber es erscheinen sonderbare Gebühren, die sich insgesamt auf 120 € belaufen. Noch mehr ha ha ha!
  3) Fahren! Und fahren! Ja, dafür entscheide ich mich. Sollte es nicht klappen, muss ich einfach nochmal ein neues Ticket kaufen und das erste als Lehrgeld verfallen lassen.
In Riga habe ich mich  schon verabredet mit einem Klassenkameraden aus der Grundschule. Wir haben uns seither EINmal gesehen, vor 14 Jahren! Vom Fährhafen aus dürfte es nicht weit sein - dachte ich. Das Navi spricht jedoch von 190 km. Na ja, in Anbetracht der Gesamtstrecke ist das doch wirklich ein Katzensprung.

Chris serviert mir eine Tasse Tee. Das Einpacken geht heute schnell, da ich ja für die Nacht im Gästehaus nicht viel auspacken musste. Und auch Frühstück muss ich nicht zubereiten. Die Lisl hat brav und genügsam wieder im Freien vor der Hütte Wache gehalten. Danke, liebe Leute, vielleicht hören oder sehen wir uns ja mal wieder.  Dankbar, ausgeschlafen und schon um 9 Uhr früh sind wir wieder on tour. Ca. 360 km liegen heute vor uns, das wird ein langer Tag. Das Wetter ist diesig aber sonnig, die Fahrbahn streckenweise nass und bei 17 Grad heißt der dresscode heute "leichter Pullover und Regenjacke". Manche prägnante Stelle kommt mir bekannt vor, aber ich kann mich nicht erinnern, auf welcher meiner Reisen ich schon mal hier gewesen bin. 

Die Landschaft ändert sich, es wird hügelig, zwischen den Waldstücken erstrecken sich nun weitläufige Wiesen und weit verstreute Gehöfte. Auch in den Ortschaften liegen die Häuser weit auseinander, nicht zu vergleichen mit der deutschen Käfighaltung. Nach und nach nimmt wird auch die Landwirtschaft intensiver, Getreide- und Maisfelder sowie Rinderweiden tauchen auf. Mein Blick schweift umher, muss sich aber nach einiger Zeit auf die Straße fokussieren, denn nun haben wir wirklich "kurvige" Strecken gefunden. Einige Kurven sind überraschend lang oder eng und zwingen uns zum nachjustieren. Die Lisl und ich müssen nun gut zusammenarbeiten. Sie darf bei dem auf und ab, rechts und links ihren Hüftschwung ausgiebig präsentieren und sie hat ihren Spaß dabei.
Um die Mittagszeit meldet sich bei mir Hunger - die Lisl will erst heute abend oder morgen gefüttert werden. An einem sonnigen Seeufer gibt es ein Päuschen mit kleiner Mittagsruhe, umd frisch geruht in die zweite Hälfte der Etappe einzusteigen. Mittlerweile folgen wir nicht mehr der empfohlenen Route sondern suchen uns Stück für Stück eher Nebenstraßen aus. Die größeren Straßen sind inzwischen stärker befahren und machen keinen Spaß. Manchmal müssen wir hinter einem "Kinderauto" herzockeln. Hier darf man anscheinend mit 15 oder 16 schon "echte" Autos fahren, die allerdings auf 40 km/h gedrosselt sind. Gekennzeichnet sind sie mit einem großen Warndreieck am Heck und einseitiger Beleuchtung. Lustigerweise sind das häufig extra große Fahrzeuge wie z.B. Pickups, alte Mercedes oder fette BMWs. Echte Verkehrshindernisse!

Der norweegische Sekundenkleber hat meine Trinkflasche zwar heute dicht gehalten, aber die Haltrung war wohl eine zu große Herausforderung.

Unser gesetztes Zeit-und Kilometerziel ist erreicht, höchste Zeit, einen Schlafplatz zu suchen. Zum Glück können wir bald von der Hauptstraße auf eine gute und weniger belebte Nebenstraße abbiegen. Hier ist auch ein See verzeichnet, nur ist leider - wie so oft - ein dichter Waldstreifen zwischen uns und dem Wasser. Da ist etwas angeschrieben an einem guten Erdweg, möglicherweise ein Kunsthandwerker. Auf jeden Fall führt uns der Weg an einem Bauhof vorbei Richtung See. Nochmal abbiegen und dann ist nach Kurzem Ende bei ein paar Häusern. Die Dame, die gerade im Garten ist, kommt gleich zur Gartentür gelaufen, da warten wir natürlich. Im kurzen Gespräch erfährt sie, dass ich aus Deutshland bin und ein bisschen norwegisch spreche, was sie für schwedisch gehalten hat. Dafür weist sie uns den Weg zum Bade-und Bootsplatz nur wenige 100 m weiter.

Es ist ein schöner Platz, eben, mit Sitzgarnituren, Bootsstegen und Hängemattengeeigneten Bäumen. Hinter mir stehen noch ein paar Gewerbegebäude und ca. jede halbe Stunde ertönt ein Schlulhofklingelton und eine Stimme verkündet irgendwas. Dann rauscht ein Zug durch. Die Wellen plätschern, die Boote klopfen rythmisch gegeneinander und die Stege klatschen bei Wind und Wellen auf's Wasser. Akkustisch wird die Nacht sicher interessant.
Zum Schreiben möchte ich die Sitzbank auf einem 10 m langen Steg benutzen. Kaum ist das Laptop aufgeklappt, schon wird mir leicht mulmig vom tanzen des Stegs. Selbst das Laptop versagt den Dienst! Warum? Es wurde doch die ganze Nacht geladen? Scheint trotzdem leer zu sein und die Lisl muss Starthilfe geben. Na gut, dann kuscheln wir halt alle zusammen umd die Sitzbank am Ufer.

20 Uhr: Angriff der Schnaken. Müde...