Dienstag, 5. November 2024

Alles egal

Endlich trocken und nicht allzu kalt (8 Grad) geschlafen. Es ist relativ ruhig am Morgen, nur vereinzelt kommt jemand vorbei und fragt mich, ob ich hier gut geschlafen hätte. Nebel hat es dennoch - zuerst nicht so dicht, dann aber wieder so naß, daß ich leider die Motorradbrille aufsezten muß. Kaum hab ich sie auf, kommt die Sonne hervor - einige Kilometer dürfen wir dann bei Sonnenschein genießen, bevor der graue Nebel wieder einfällt. Tristes Novemberwetter. Die Gerüche haben sich ebenfalls der Jahreszeit angepaßt: statt Heuduft steigt feiner Holzfeuerduft in die Nase.

In einem kleinen Dorf kommt mir eine Frau mit Baguette unterm Arm entgegen aber weit und breit ist keine Bäkerei zu sehen. Die Lösung steht am Ortsende: ein Baguette-Automat! Um die Mittagszeit wird die Lisl hungrig, aber auf unseren kleinen Sträßchen findet sich so gut wie nie eine Tankstelle, also muss Tante Google wieder helfen. Einmal um die halbe Stadt, findet sich eine Intermarché-Tankstelle, die mit Kartenautomat funktioniert. Im zugehörigen Supermarkt möchte ich noch etwas für die Kinder meines Gastgebers kaufen, aber hier wird mir die Tür vor der Nase zugeschlossen.

Die unendliche Geschichte - Reifensuche. Gefühlte 5 Wochen bin ich nun schon auf der Suche...ok, laß es 2 Wochen sein. Ich weiß nicht mehr weiter. Meine gestrige Hoffnung auf ein Reifengeschäft in der Nähe, das angeblich meinen Wunschreifen vorrätig hat, zerschlägt sich. Meine Telefonate werden alle abgewiesen, aber ich verstehe nicht warum. Mein heutiger Gastgeber findet heraus, daß der Laden gar nicht mehr existiert!
Nun muß mein guter französisch sprechender Freund Truls helfen! Ich versorge ihn mit Internetlink, Telefonnummern und meiner gewünschten Reifengröße. Er kommt immerhin soweit, daß Hoffnung besteht, in Brest einen Reifen bestellen zu können. Lieferzeit mehrere Tage oder Wochen! Jetzt ist mir alles wurscht (egal), ich werfe alle Pläne über den Haufen, ignoriere den seltenen Sonnenschein und fahre auf dem kürzesten Weg nach Brest! Dafür nehmen wir sogar Autobahn in Kauf und radieren den Hinterreifen endültig herunter! Unterwegs gibt es noch ein großen Motorradgeschäft aus der gleichen Kette, aber die haben Lisl's Reifengröße überhaupt nicht vorrätig. Auch in Brest wollen sie mich schon unverrichteter Dinge wieder wegschicken, als ein Mechaniker vorsichtshalber nochmal nachschauen geht: genau EIN einziger Reifen in meiner Größe ist tatsächlich vorhanden. Mittlerweile nehme ich jede Marke oder jedes Profil, das kein Rennreifen ist... Sie haben sogar Zeit, den Reifen sofort zu montieren - den Hinterrad-Aus- und -Einbau nehme ich selbst vor. Puh! Die Lisl hat einen neuen Schuh! Endlich! Der alte hat 13.000 km gehalten - stolze Leistung! Die Dame an der Kasse ist die einzige Person im Laden, die englisch spricht. Es dauert eine Weile, bis sie alles richtig eingegeben hat und mir den Preis nennt. "Ist das ok für Dich?" fragt sie. Muß es ja wohl, aber ich sage im Scherz einfach mal "nein". Wir lachen und ich bezahle natürlich. Dann frage ich nach der Rechnung, bekomme eine Quittung mit dem Gesamtpreis. Nein, ich meine, Reifen und Montage getrennt aufgeführt. Oh, nein, sie hat vergessen die Montage zu berechnen! Das ist ihr aber jetzt zu kompliziert und sie verzichtet auf den Betrag. "Ist das ok für Dich?" fragt sie erneut. "Aber sicher!" ist meine Antwort - Glück gehabt.
Gleich um die Ecke wohnt der freundliche BMW-Händler, den ich mal nach Bremsbelägen frage. Tja, die Lisl ist viel zu alt, dafür gibt's keine Ersatzteile mehr!

Mein Gastgeber ist noch bei der Arbeit und seine Frau ist viel beschäftigt. Bis zum vereinbarten Ankunftszeitpunkt ist noch etwas Zeit, die ich nutze um weitere Dinge zu organisieren: die Lisl wird demnächst auch neue Bremsbeläge brauchen und es wäre schön, Ersatz für die vergessenen Baumriemen zu haben. Beides bekomme ich in Deutschland innerhalb weniger Tage - aber wie kommen wir zusammen? Da erinnere ich mich an Freund Rudi, der am Freitag nach Portugal fliegt - vielleicht kann er die Dinge ja mitbringen? Ist zeitlich ziemlich knapp, aber es ist einen Versuch wert. Das Material lasse ich per Express direkt zu ihm schicken, hoffe, daß es rechtzeitig ankommt und noch Platz im Handgepäck findet.

Die Mädels der Familie begrüßen mich mit allen ihren Sprachkenntnissen. Aurelie, die Mama, begrüßt mich in englisch und deutsch. Dafür, daß sie seit Schulende vor 20 Jahren kein Deutsch mehr gesprochen hat - alle Achtung. Louise (15) lernt englisch und italienisch und Salomè (12) macht ihre ersten Geversuche in englisch und spanisch. Bestimmt 10 min lang werden alle Sprachen ausprobiert. Dann überläßt mir Salomé großzügig ihr Zimmer mit allen Kuscheltieren und der bunten Überraschungsbeleuchtung!

Die heiße Dusche tut vor allem meinen Haaren gut. Und natürlich dem allgemeinen Duft. Aurelie serviert ein 4-Gänge-Menü, natürich mit Käsegang! Und natürlich ein Glas Wein! Mein Jahresverbrauch an Wein ist schon lange überschritten! Ich erfahre viel über französiche Lebensweise, insbesondere schulische Besonderheiten. Antoine zeigt mir die schönsten Ecken in der Gegend, so dass ich die morgige Etappe planen kann. Bislang konnte ich die Bretagne ja nicht genießen.