Bei Niesel- und Schnürlregen läßt man sich mit dem Aufbruch gerne Zeit, besonders wenn es so ein opulentes Frühstück mit Backwaren gibt, die ich in Norwegen so sehr vermisse. Um halb elf sind wir dann doch endlich - gut gefüttert und wasserdicht eingapckt - auf Tour. Den Routenvorschlag meiner Navi-App, der weit nach Süden wieder über die Alb führt, verwerfe ich heute und nehme eine Abkürzung entlang der Südkante von Stuttgart. Die Großwetterlage veranlasst mich dazu. Tatsächlich zwingen und schlechte Sicht, wenig Straßenhaftung und schwache Brenswirkung in den Schneckenmodus. Schade um die schönen Kurven, die wir dennoch zu Beginn fahren dürfen. Im Großraum Stuttgart sind die vierspurigen Straßen, Ampeln am laufenden Meter, dichter Verkehr und von den Fahrzeugen aufgwirbelte Gischt nicht unbedingt unser Lieblings-Aufenthaltsort. Die Halterung für mein Navigationsgerät zitter (vor Angst?), sie wird heute Abend etwas Aufmerksamkeit benötigen.
Gegen Mittag bricht gelegentlich die Sonne durch, der Himmel wird blauer und zwischen all den Industriebauten tauchen von wenigen Sonnenblumen gesäumte Kohlfelder auf, an denen sich auch Fischreiher wohlfühlen. Die Straßen werden schmäler, der Verkehr nimmt ab und die Kurven nehmen zu - trotzdem fehlt heute die Hochstimmung. Meine Gedanken sind nicht hier, sie kreisen um die aktuelle Weltpolitik. Ich versuche, mein Weltbild auf den Prüfstand zu stellen, ob meine Ansicht begründet ist? Leider gelingt mir das nicht. Der Duft von frischem Holz steigt mir bei einem Sägewerk in die Nase und gleich danach findet die Lisl eine preiswerte Tankstelle. Pause. Ich möchte meiner Patentante zum 98-sten Geburtstag gratulieren, kann sie aber telefonisch leider nicht erreichen. Endlich gibt es andere Gedanken. In Schottland möchte ich einen ehemaligen Schulkameraden besuchen und bekomme von ihm einen Zeitplan - er ist viel beschäftigt. Leider passt das nicht mit meiner Streckenplanung zusammen, aber ich kann ja meine Planung ändern? Dann nehmen wir uns halt zuerst Irland und danach England vor? Ok, liebes Navi, neu planen. Es macht seinem Namen "kurviger" alle Ehre und findet jetzt wieder die besten Kurven im Nordschwarzwald!
Eine Fähre über den Rhein! Eine willkommene Abwechslung. Wir müssen ein wenig warten, bis das lange Ausflugsschiff vorbeigezogen ist. Wups, sind wir drüben und in Frankreich! Frankreich, das Land von Baguette, Croissant und Käse!!! Ich bin gespannt, wie sich mein Navi im flachen Frankreich anstellt. Das Wetter ist weiterhin durchwachsen, sämtliche Feldwege sind aufgeweicht und unbefahrbar. Die Schlafplatzsuche gestaltet sich heute schwierig, zumal ich gerne ein Dach über mir hätte. Erst gegen halb sechs werden wir fündig und ich gebe mich mit einem Unterstand am Ortsrand zufrieden. Ich werde hier auf jeden Fall keine Koje aufbauen müssen, denn es sind ein paar breite Betonstufen vorhanden, die sich als Bett eignen.