Dienstag, 1. Oktober 2024

Durch die Vogesen




 
Unter Dach aber im Freien und ungestört habe ich so gut und lange geschlafen, dass wir auch heute wieder erst sehr spät loskommen. Der Dresscode heißt "Regen", aber ohne Brille und Lenkerstulpen. Wie sich herausstellt, war das die perfekte Wahl. Schon bald sind wir wieder auf einem herrlich kurvigen Stäßchen, nur sind leider Lisls Sohlen noch dick lehmverklebt von dem Dreck, den die Traktoren auf den ersten Metern unseres Weges verteilt haben. Dann tauchen wir ein in den Nationalpark "Noord-Vogesen". Kurz darauf sollen wir auf eine vierspurige Straße? Die Lisl schüttelt den Kopf...aber es sind nur wenige hundert Meter, dann dürfen wir wieder ins Abseits. Cherbourg liegt im Nordwesten und das Navi schlägt einen südlichen Weg ein - dafür werden wir ja auch mit den tollsten Kurven belohnt. In Saverne stecken wir im Stau: eine ampelgesteuerte Baustelle läßt uns in jeder Grünphase nur 100 m weit kommen und dann wieder 5 min warten. Irgendwann ist das zum Glück auch geschafft.

Ich stelle fest, dass wir heute noch gar keine Tankstelle oder einen Supermarkt gesehen haben!? Kein Wunder, denn das Navi führt uns auf die kleinstmöglichen Straßen, durch alte Bauerndörfer ohne Versorgungsmöglichkeit. Aus den Augenwinkeln erspähe ich in einer etwas größeren Ortschaft pünklich zur Mittagszeit eine Bäckerei. Passt!
Unsere Tour ist eine abwechslungsreiche Mischung aus schmalen Wegen mit engen Kurven, die wir im Omatempo nehmen und breit geschwungenen Straßen, wo die Lisl sprotlichen Walzer tanzen darf. Es ist kalt und windig, die Kamine rauchen bereits und verbreiten einen feinen Holzfeuer-Duft. Im Wald versteckt verläuft neben uns ein Kanal, manchmal kann man durch die Bäume ein langsam dahinschwimmendes Hausboot erspähen.
Einen an der Straße stehenden Tramper können wir leider nicht mitnehmen, auch nicht das zweite mal, als wir ihn kurz darauf wieder sehen. Ein freundlicher LKW-Fahrer überläßt uns an einer Abzweigung zum nächsten Kurvensträßchen die Vorfahrt. Er hält zwar unsere Geschwindigkeit, aber mit freier Sicht und Fahrt vorauszufahren macht viel mehr Spaß - danke!

Da ich heute abend wieder einen Video-Call habe, möchte ich rechtzeitig Schluss machen. Die Kilometerleistung ist nicht so wichtig, wir haben ausreichend Zeit, bis die Fähre von Cherbourg ablegt. In meinem Kopf entsteht ein Bild, wie ich mir das heutige Nachtlager vorstelle. Es ist schon seltsam, wie ich von einem Turm auf dem einzig sichtbaren Berg magisch angezogen werde. Es ist die Basilika Notre Dame de Sion mit einem großen Parkplatz, schön angelegt, aber nur zum Anschauen. Nicht für mich - Heiligtümer sind nichts für mich. Hier kann und darf man sicher auch nicht nächtigen. Nicht weit entfernt zeigt die Karte einen Parkplatz, den schauen wir uns auf jeden Fall an. Das ist ein schönes Plätzchen - nicht ganz wie vorgestellt, aber perfekt! Auf der Höhe (also hochwassersicher), mit Sitzgarnituren, Mülleimern und einem Gebäude, das zwar verwahrloste Toiletten, dafür aber jede Menge frisches Wasser bietet. Dahinter ist eine große, hinter der Kuppe abfallende Wiese mit ein paar einzelnen Bäumen. Mein Traumplatz ist von der Straße nicht einsehbar und bietet einen wunderbaren Ausblick auf den Kirchturm.

Bislang habe ich wohl alles richtig gemacht. Es ist halb sechs, erst jetzt beginnt es zu nieseln und ich sitze bereits in der Koje mit Vordach, das heißt, wir sind regensicher. Die Lisl muss allerdings leider wieder draußen bleiben.